Regulierung und Hintergründe
SVHC sind chemische Stoffe, die besonders besorgniserregende Eigenschaften haben. Das heißt, sie können:
- beim Menschen schwerwiegende und unumkehrbare Gesundheitsschäden hervorrufen und/oder
- Ökosysteme so schädigen, dass ihre Struktur und Funktionsfähigkeit langfristig gestört werden.
Einige dieser Stoffe werden in der Umwelt und/oder im menschlichen Körper nicht oder nur langsam abgebaut. Daher reichern sie sich dort an und ihre Konzentrationen in Körper und/oder der Umwelt steigen mit der Zeit an. Einmal dort angelangt, können sie aus dem Menschen und der Umwelt entweder gar nicht oder nur mit sehr hohem Aufwand wieder „herausgeholt“ werden. Solche stabilen Stoffe sind teilweise in unseren Lebensmitteln zu finden, da sie sich in der Nahrungskette anreichern.
SVHC können in vielen unterschiedlichen Produkten unseres alltäglichen Lebens enthalten sein. Ein Beispiel sind fluorierte Chemikalien, eine Gruppe besonders stabiler und teilweise gesundheitsschädigender Stoffe. Sie können unter anderem in Outdoorjacken, in Beschichtungen von Pfannen, in Feuerlöschschaum, auf Polstermöbeln, in Skiwachs oder in Backpapier vorhanden sein.
Oft ist der Kontakt mit einem Stoff, der aus einem einzelnen Produkt freigesetzt wird, unproblematisch. Allerdings kann der Stoff aus vielen verschiedenen Produkten freigesetzt werden. Die dadurch entstehende Gesamtexposition kann möglicherweise Risiken für die Gesundheit bergen.
Da SVHC sehr schwerwiegende und irreversible Schäden verursachen können, werden sie in der REACH-Verordnung als besonders regulierungsbedürftig priorisiert. Daher gibt es den Prozess der SVHC-Identifizierung und -aufnahme in die Kandidatenliste sowie das Zulassungsverfahren. So soll die Exposition insbesondere gegenüber diesen besonders besorgniserregenden Stoffen verringert werden. Den Verbrauchern soll die Möglichkeit gegeben werden, bewusst zu entscheiden, ob sie Produkte, die diese Stoffe enthalten, kaufen und nutzen möchten.
Langfristiges Ziel der Regelung ist, dass diese Stoffe in der EU nicht mehr verwendet werden (phase-out). Nur so kann sichergestellt werden, dass die Exposition von Mensch und Umwelt diesen Stoffen gegenüber wirksam verringert bzw. vermieden werden kann.
REACH Art. 55
„Zweck der Zulassung und Überlegungen zur Substitution
Zweck dieses Titels ist es, sicherzustellen, dass der Binnenmarkt reibungslos funktioniert und gleichzeitig die von besonders besorgniserregenden Stoffen ausgehenden Risiken ausreichend beherrscht werden und dass diese Stoffe schrittweise durch geeignete Alternativstoffe oder
-technologien ersetzt werden, sofern diese wirtschaftlich und technisch tragfähig sind. Zu diesem Zweck prüfen alle Hersteller, Importeure und nachgeschalteten Anwender, die einen Antrag auf Zulassung stellen, die Verfügbarkeit von Alternativen und deren Risiken sowie die technische und wirtschaftliche Durchführbarkeit der Substitution. (…)“
REACH definiert verschiedene Pflichten für Unternehmen, die SVHC-haltige Erzeugnisse herstellen, importieren oder mit ihnen handeln (bzw. an andere Firmen oder Konsumenten liefern). Diese sind auf den Seiten Pflichten und Definitionen ausführlich erläutert. Im Folgenden wird kurz dargestellt, welche Ziele mit den einzelnen REACH-Anforderungen verfolgt werden.
Artikel 33(1) – Kommunikation in der Lieferkette
Die Pflichten zur Weitergabe von Informationen zu SVHC in Erzeugnissen in der Lieferkette haben drei Zielsetzungen:
- Ermöglichung der Kommunikation über SVHC in Erzeugnissen bis zum Verbraucher,
- Bereitstellung von Informationen zur Überprüfung der Sicherheit von Erzeugnissen, bzw. um das Design von Produkten zu planen oder zu verändern und die
- Bereitstellung von Informationen zur Verwendung im betrieblichen Arbeitsschutz und Umweltschutz.
Erzeugnisse durchlaufen teilweise lange und komplexe Herstellungswege und in den unterschiedlichen Fertigungsprozessen können SVHC eingesetzt werden. Daher müssen alle Akteure, die mit Erzeugnissen umgehen, entsprechende Informationen an ihre Kunden weitergeben (Kommunikation in der Lieferkette). Somit unterstützt die Umsetzung dieser Anforderung die Kommunikation mit dem Endverbraucher.
Diese Anforderung wird unter anderem im Produktsicherheitsgesetz und auf EU-Ebene in der Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit definiert. „Produktsicherheit“ ist hier primär als Abwesenheit von Gefahren für den Produktnutzer definiert. Mögliche Risiken für die Umwelt sind nicht berücksichtigt. Je nach Art eines Erzeugnisses gibt es Normen (z. B. für Bauprodukte) oder eine eigene Rechtssetzung (z. B. für Spielzeuge), in denen konkrete Prüfungen zur chemischen Produktsicherheit vorgeschrieben sind. In den meisten Fällen gibt es jedoch keine konkreten Vorgaben, wie die Produktsicherheit geprüft werden kann. Informationen darüber, dass SVHC in einem Produkt enthalten sind, sind in jedem Fall die zentrale Voraussetzung für eine Prüfung zumindest für diese Stoffe. Des Weiteren sind Informationen über die Freisetzungsmöglichkeiten der Stoffe aus den Erzeugnissen entlang ihres (weiteren) Lebensweges notwendig.
Viele Hersteller von komplexen Objekten, die aus vielen (unterschiedlichen) Erzeugnissen bestehen, bearbeiten diese Erzeugnisse während ihrer Prozesse. In diesen Fällen sind die Unternehmen verpflichtet, zu prüfen, ob während der Verarbeitung SVHC freigesetzt werden, die Gesundheitsrisiken für die Arbeitnehmer verursachen können (Arbeitsplatzbewertung). Dies kann besonders dann der Fall sein, wenn Erzeugnisse geschliffen oder gesägt werden und SVHC-haltige Stäube entstehen. Expositionen mit SVHC sind auch möglich, wenn Erzeugnisse erhitzt und SVHC dadurch freigesetzt werden oder SVHC sich an den Erzeugnisoberflächen befinden.
Viele Unternehmen prüfen regelmäßig ihre Umweltleistung unter anderem bezüglich der Verwendung von SVHC (in Erzeugnissen), z. B. im Rahmen von Umwelt- oder Nachhaltigkeitsmanagementsystemen. Die Analyse der Verwendung gefährlicher Stoffe ist oft mit dem Ziel verbunden, Produkte ökologisch zu verbessern und/oder Umweltsiegel wie den Blauen Engel zu erhalten. Die Vermeidung von SVHC ist im Fokus vieler Optimierungsbestrebungen und entsprechende Informationen sind daher für viele Unternehmen besonders wichtig.
Insgesamt soll die erhöhte Transparenz über SVHC in Erzeugnissen das Bewusstsein über diese Stoffe in der Lieferkette verbessern, auch vor dem Hintergrund einer möglichen Zulassungspflicht. So sollen bereits vor einer „harten Regulierung“ Anreize für den Ersatz dieser Stoffe mit weniger schädlichen Alternativen geschaffen werden.
Artikel 33(2) – Kommunikation an Verbraucher
Die Verbraucher achten zunehmend darauf, ob gefährliche bzw. gesundheitsschädliche Chemikalien in Produkten enthalten sind, die sie kaufen möchten. Dies ist insbesondere bei körpernahen Produkten wie z. B. Kleidung der Fall oder bei Erzeugnissen für Kinder wie z. B. Milchflaschen oder Spielzeuge.
Das Verbraucherauskunftsrecht nach REACH Artikel 33(2) soll mehr Transparenz über das Vorhandensein von SVHC in Erzeugnissen schaffen und so die Möglichkeiten der Verbraucher verbessern, eine informierte Kaufentscheidung zu treffen. Hierbei ist es unerheblich, ob durch einen SVHC in einem konkreten Produkt mögliche Gefahren ausgehen können oder nicht. Des Weiteren soll Artikel 33(2) mittels der Bereitstellung von Informationen zur sicheren Verwendung die Verbraucher dabei unterstützen, SVHC-haltige Erzeugnisse so zu verwenden, dass keine Schäden für Mensch und Umwelt entstehen.
Eine Herangehensweise der Umwelt- und Verbraucherverbände ist die Entwicklung von Smartphone Apps, die die Anfragen von Verbrauchern automatisieren. Es ist geplant, eine EU-weit nutzbare App zu entwickeln, die mit einer Produktdatenbank verbunden ist. Sind Informationen über den SVHC-Gehalt von Erzeugnissen gespeichert, für die ein Verbraucher eine Anfrage startet, sollen diese direkt an den anfragenden Verbraucher kommuniziert werden. Eine Beschreibung dieser Apps findet sich unter Hilfen und Instrumente. In Verbindung mit der Möglichkeit, die Datenbank durch die Hersteller direkt zu befüllen, stellen sie eine effiziente und wirkungsvolle Möglichkeit dar, Verbraucher zu informieren.
Einige Firmen haben damit begonnen, SVHC-Informationen nach REACH mittels ihrer Internetseiten zu veröffentlichen. So können Verbraucher im Vorfeld einer Kaufentscheidung recherchieren, ob und welche Produkte SVHC enthalten. Diese Recherche kann allerdings aufwendig sein, da die Informationen für jedes infrage kommende Produkt separat gesucht und verglichen werden müssen.
Artikel 7(2) – Anmeldung von SVHC in Erzeugnissen der ECHA
Vor der Umsetzung von REACH gab es keine gesicherten und übergreifenden Informationen darüber, in welchen Anwendungen/Erzeugnissen Stoffe mit bestimmten gefährlichen Eigenschaften tatsächlich angewendet werden, da es keine entsprechenden Datenbanken oder Berichtspflichten für die Unternehmen gab und die Registrierungsdaten relativ grob und teilweise unvollständig sind. Ohne Daten über die Verwendungen von SVHC können die Unternehmen und Behörden jedoch die möglichen Risiken durch die Verwendung von SVHC kaum bewerten und auch nur schwerlich die optimalen Maßnahmen zur Risikominderung identifizieren.
Daher soll Artikel 7(2) die Informationsbasis über das Vorkommen von SVHC in Erzeugnissen verbessern. Insbesondere erwartet die ECHA neue Erkenntnisse darüber, welche importierten Erzeugnisse SVHC enthalten, die über bereits registrierte (und bzgl. möglicher Risiken geprüfte) Verwendungen hinausgehen. Diese Daten ermöglichen eine bessere Abschätzung, welche SVHC für welche Erzeugnisse relevant sind und ob ggf. Beschränkungen oder andere Maßnahmen notwendig sind.
Mit einer Anmeldung von SVHC in Erzeugnissen sind keine weiteren Pflichten für den Hersteller von Erzeugnissen verbunden.
Zulassungspflichtige Stoffe in Anhang XIV
SHVC, deren Verwendung in der EU eine Zulassung erfordert, sind im Anhang XIV aufgelistet. Liegt keine Zulassung vor, so dürfen diese SVHC in der EU nicht in Erzeugnisse eingebracht werden. Sie können allerdings in importierten Erzeugnissen enthalten sein, die nicht in der EU hergestellt werden, da die Zulassung die Verwendungen des Stoffes betrifft.
Übergeordnetes Ziel des Zulassungsverfahrens ist es, langfristig die Verwendung von SVHC so weit wie möglich zu vermeiden bzw. zu mindern. Der primäre Ansatzpunkt sind die (industriellen) Prozesse und damit der Schutz von Arbeitnehmern und der Umwelt (und nicht die Produkte). Durch das Verfahren wird berücksichtigt, dass es für bestimmte Verwendungen derzeit keine adäquaten Ersatzprodukte gibt und daher eine (zeitlich befristete) Zulassung die weitere Nutzung eines SVHC ermöglicht, wenn die entsprechenden Akteure eine solche beantragen.
Beschränkungen in Anhang XVII
Anhang XVII enthält eine lange Liste an Stoffen oder Stoffgruppen, deren Verwendung entweder vollständig verboten ist oder die nur unter bestimmten Bedingungen oder in bestimmten Produkten verwendet werden können. Anhang XVII enthält sehr unterschiedliche Stoffe. Nur ein kleiner Teil davon ist gleichzeitig SVHC und in der Anwendung beschränkt oder verboten. Stoffe, die nach Anhang XVII verboten bzw. beschränkt sind, bleiben beschränkt/verboten, auch wenn sie SVHC sind. Informationspflichten entfallen, wenn diese Stoffe aufgrund der Vorgaben nach Anhang XVII nicht mehr in Verkehr gebracht werden dürfen.
Stoffe werden in ihren Verwendungen insbesondere dann beschränkt, wenn es einzelne, konkrete Verwendungen gibt, die risikobehaftet sind und andere Verwendungen aber als „unkritisch“ bewertet werden. Zudem decken Beschränkungen, im Gegensatz zu einer Zulassungspflicht, regelmäßig auch den Gehalt an SVHC in importierten Erzeugnissen ab.